40 Jahre "Live Aid": Hoffnung, Hype und kritische Fragen

"Es ist zwölf Uhr mittags in London und sieben Uhr morgens in Philadelphia. Und rund um die Welt ist es Zeit für Live Aid!"
Diese legendäre Fernsehansage läutete am 13. Juli 1985 das größte Musikspektakel aller Zeiten ein und vereinte fast zwei Milliarden Menschen aus über 100 Ländern vor den Bildschirmen. Ein Konzert auf zwei Kontinenten stattfinden zu lassen - lange bevor es das Internet gab - und weltweit per Satellit im Fernsehen zu übertragen, war eine echte Herausforderung.
Live Aid war kein gewöhnliches Konzert: Ziel war es, Spenden für die Hungerhilfe im damals von einer verheerenden Dürre heimgesuchten Äthiopien zu sammeln. Auf der Bühne standen die größten Pop- und Rockstars der damaligen Zeit wie Freddie Mercury, David Bowie und Tina Turner, die alle kostenlos auftraten.

Die Veranstaltung fand zeitgleich im Wembley-Stadion in London und im JFK-Stadion in Philadelphia statt. Menschen auf der ganzen Welt verfolgten gebannt, wie Mercury die 72.000 Fans im Wembley-Stadion in London während des Refrains von Queens Hit "Radio Ga Ga" aus dem Jahr 1984 anfeuerte, wie Bono von U2 von der Bühne sprang und mit einem jugendlichen Fan tanzte und wie Bob Geldof die Zuschauer eindringlich aufforderte, Geld zu spenden. Und um die oft wiederholte Live Aid-Überlieferung richtig zu stellen: Sir Bob hat nie gesagt: "Gebt uns euer verdammtes Geld jetzt". Er wurde falsch zitiert.
Rock 'n' Roll als universeller Überbringer einer BotschaftDer Frontman der irischen Rockgruppe "The Boomtown Rats" war die treibende Kraft hinter dem 16-stündigen Musik-Event. Geldof hatte 1984 im Fernsehen einen Bericht über das Leid verhungernder Menschen in Äthiopien gesehen und war zutiefst erschüttert. Gemeinsam mit dem Schotten Midge Ure von der Band Ultravox schrieb er noch im selben Jahr das Lied "Do They Know It's Christmas?"und brachte für die Aufnahme britische Musikerkollegen zusammen. Der Erfolg der - heutzutage wegen des falschen Afrika-Bildes umstrittenen - Benefiz-Single inspirierte das Duo dazu, sein karitatives Engagement auszuweiten.
"Wir haben ein Thema aufgegriffen, das nirgendwo auf der politischen Agenda stand, und durch die Lingua franca des Planeten - die nicht Englisch, sondern Rock'n‘'Roll ist - konnten wir die Not von 30 Millionen Menschen ansprechen, die an Mangel sterben in einer Welt des Überflusses - auf einem Kontinent, 12 Kilometer von unserem entfernt," sagte Geldof rückblickend.

In gerade mal zwölf Wochen stellten Geldof und sein Team das gigantische Event auf die Beine. Ure bemerkte später gegenüber der britischen Zeitung "The Guardian", dass ein Großteil der Live-Aid-Planung eher auf Instinkt und gutem Willen als auf Strategie oder Budget beruht habe. Das Live-Aid-Konzert schuf die Blaupause für spätere Veranstaltungen wie Farm Aid (1985), Live 8 (2005) und Live Earth (2007).
"Für Afrika", aber ohne AfrikanerViele Boomer und Angehörige der Generation X haben Live Aid als einen einzigartigen Moment globaler Einheit erlebt - in einer Zeit, als man noch nicht weltweit übers Internet vernetzt war. Doch rückblickend sorgt das Event auch für Kritik: Denn obwohl es sich um eine Benefizveranstaltung für Afrika handelte, trat bei dem Megakonzert kein einziger afrikanischer Künstler auf.
Auch Frauen waren in der Minderheit: Abgesehen von Sade, Tina Turner, Madonna und Patti LaBelle war das Programm überwiegend weiß und männlich dominiert. Geldof verteidigte die Auswahl der Künstlerinnen und Künstler mit der Begründung, sie seien aufgrund ihrer Popularität angefragt worden - schließlich wollte man möglichst viele Spenden generieren.

Im Jahr 2005 organisierte Geldof "Live 8" - ein Festival, das zeitgleich mit dem G8-Gipfel stattfand und die Staats- und Regierungschefs der acht wichtigsten Industrieländer dazu bringen sollte, "Armut zu Geschichte zu machen". Als einziger Afrikaner war nur der senegalesische Sänger Youssou N'Dour dabei, Geldof setzte erneut auf starke Zugpferde aus dem Westen.
Andy Kershaw, einer der Moderatoren bei Live Aid 1985, äußerte sich dazu kritisch mit den Worten: "Das ist empörend und zutiefst selbstgefällig. Sie sagen: 'Vernachlässigt Afrika nicht' - aber genau das tun sie hier."
Daraufhin wurde das Konzert "Africa Calling" organisiert, diesmal von Peter Gabriel. Unter Youssou N'Dours Ägide traten prominente afrikanische Künstler wie die somalische Sängerin Maryam Mursal und die beninische SängerinAngélique Kidjo auf.
Moky Makura, Geschäftsführerin von "Africa No Filter" (eine NGO, die sich gegen Stereotype über Afrika einsetzt, Anm. d. Red.) war noch im Teenageralter, als sie das ursprüngliche Konzert sah. Sie schrieb 2023 in der Zeitung "Guardian": "Als Nigerianerin, die in Lagos geboren und im Vereinigten Königreich ausgebildet wurde, brauchte ich einen Moment, um zu begreifen, dass die Version von Afrika, die Live Aid der Welt verkaufte, eine ganz andere war als die, in der ich aufgewachsen bin."
Live Aid sei das "unglückselige und unbeabsichtigte Aushängeschild" für einen Entwicklungsansatz in Afrika, fügte sie hinzu, der auch heute noch einen Großteil des Sektors antreibe: der Wunsch, die Probleme der armen Länder zu erkennen und zu lösen.

Für sein Engagement erhielt Bob Geldof dann auch nicht nur Lob. Kritiker unterstellten ihm immer wieder einen "White Saviour Complex", er inszeniere sich als "weißer Retter". Seine verärgerte Reaktion: "Die Leute sterben dort, verdammt noch mal, weil sie nicht genug zu essen haben, obwohl es auf der Welt mehr als genug gibt. Darum geht es!"
Ein kritischer Kommentar im "Guardian" 2024 stellte Live Aid als Event dar, das "ein herablassendes Bild von Afrika als einem Kontinent, der verzweifelt nach westlicher Hilfe verlangt und von ihr abhängig ist", verstärke. Für Geldof war das "die größte Ladung Bullshit aller Zeiten".
Tatsächlich kamen dank Live Aid 127 Millionen Dollar Spenden für die Hungerhilfe zusammen - und das Konzert hatte auch politische Strahlkraft. Ein aktueller Dokumentarfilm mit dem Titel "Live Aid at 40: When Rock 'n Roll Took On The World" ("40 Jahre Live Aid: Als der Rock 'n' Roll die Welt eroberte") zeigt, wie Geldof und sein irischer Kollege Bono durch ihre unermüdliche Lobbyarbeit bei den Staats- und Regierungschefs der G8-Staaten schließlich erreichen, 18 der ärmsten Länder der Welt ihre Schulden in Höhe von 40 Milliarden Dollar zu erlassen und zu versprechen, die Hilfe für die Entwicklungsländer bis 2010 um 50 Milliarden Dollar pro Jahr zu erhöhen.

Geldof, mittlerweile 73 Jahre alt, bezweifelt anlässlich des 40 Jahrestages von Live Aid, dass sich der Spirit des Konzerts im Zeitalter der sozialen Medien wiederholen ließe. "Es ist eine isolierende Technologie, im Gegensatz zum Rock 'n' Roll, der die Menschen zusammenbringt", sagte er der britischen Musikzeitschrift "NME".
Die kürzlich getätigte Aussage Elon Musks, die große Schwäche der westlichen Zivilisation sei die Empathie, konterte er mit den Worten: "Nein, Elon, der Klebstoff der Zivilisation ist die Empathie. Wir befinden uns im Zeitalter, in dem die Freundlichkeit ausstirbt, und ich wehre mich dagegen."
Trotz allem bleibt der Rocker hoffnungsvoll: "Man kann Dinge ändern, man kann wirklich Dinge ändern ... der Einzelne ist nicht machtlos, und gemeinsam kann man wirklich Dinge ändern."
Adaption aus dem Englischen: Suzanne Cords
dw